Das Konzept

POP ART FÜR DEN KLEINEN MANN. ÜBER DAS WERK VON HORST WAIGEL

Unter dem Mantra „Pop Art für den Kleinen Mann“ verhandeln die Werke Horst Waigels die Inhalte einer Medien bezogenen Kunst auf eine beinahe anarchische Weise. Fotoberichte aus deutschen Lokalzeitungen dienen Horst Waigel als Vorlagen für seine „Pop Art“.

In der Kunst Horst Waigels finden sich dementsprechend Bildthemen wie die Präsentation von Preisträgern einer Vogelausstellung, Ansichten über das Wetter von zufällig vom Lokalreporter auf der Straße angetroffenen Kleinbürgern, dem Portrait einer Anführerin eines Spielmannszuges oder eines Goldmedailliengewinners im Fliesenlegen, die allen Lesern aufgrund der mikro-lokalen Verbreitung der Zeitung ohnehin persönlich bekannt sind. Darüber hinaus verhilft Waigel den skulpturalen Ausschmückungen heimischer Gärten anlässlich jeglicher Jubiläumsfeiern, die sodann in den Lokalnachrichten der hiesigen Zeitungen präsentiert werden, in den Bedeutungszusammenhang der Kunst. Horst Waigel bezeichnet diese, „seine“ neue Kunstform als „Fremdinstallation“.

Somit wird die Relevanz der Medien hinsichtlich ihrer aufklärenden Funktion auf eine Ebene der Selbstverständlichkeit, die nur noch auf sich selber verweisen kann, verschleppt. Allgemeine Bedürfnisse, die Meinung des Volkes, des Kleinen Mannes, stellen insgesamt die Ausgangsperspektive für Waigels Pop-Kunst dar. Kleinsterereignisse stehen also plötzlich im Mittelpunkt der Kunst anstelle grosser Berichte aus der Yellow Press (wie bei Warhol). Vorgeführt auch in seinen Videoarbeiten: vom rigorosen Mülltrennen eines zum Künstler erhobenen ahnungslosen Rentners („W A S T E“) über die Ansichten eines endlos Scheiben putzenden Museumsmitarbeiters (“Manfred Malle”) oder eines polnischen Bauarbeiters zum Zusammenhang von coronabedingter Einschränkung von Fussballspielen in Weissrussland („Lukaschenko oder Das Licht der Aufklärung“).

Als Pop-Symbolfigur für den Kleinen Mann dient Waigel der schwarz-orangerot-gelbe, sehr sachliche, überaus vernünftige und somit in allen Punkten sehr deutsch-kompatible Bert aus der Sesamstrasse. Denn Waigels Bert tritt im Namen des Kleinen Mannes in eine intellektuelle Auseinandersetzung mit allerhand kunstgeschichtlicher Narrative und Vorbilder ein: von „Bert After Munch“ über „Bert After de Kooning“ bis hin zum „Jonathan Meese-Bert“ oder „Bert After Nicola Samorì“. Mit dieser Rolle als Bert testet Horst Waigel gewissermaßen die Genialität der kunsthistorischen Leitmotive unter den Bedingungen des Kleinen Mannes und stellt darüber hinaus – für den Kleinen Mann ohnehin unbegreiflich – die Festlegung eines Stils (man könnte auch sagen: die Stil-Verhaftung) des „freien“ Künstlers infrage.

Eine mögliche Bedeutung massenmedialer Berieselung findet sich bei den grossen, amerikanischen Pop Artisten in dessen Verdopplung und Pointierung. Resultierend wird ein erhabener Inhalt provoziert und mit der Formel der Wiederholung gleichgesetzt. Bei Horst Waigel hingegen mündet jeglicher Tiefsinn der Medien im banalen, unkommentierbaren Realismus des ländlichen Volkes. Andy Warhols Vorausschau der „15 minutes famous“ für jedermann wird vielleicht endlich wahr, auch wenn dies nur auf der Ebene des zur Kunst erhobenen Rentners, Arbeitslosen oder Vogelzüchters geschieht. In der Härte der binären Logik des einfachen Mannes steckt eine Relevanz des Unabdingbaren. Das Erhabene findet nur noch im Kleinen statt, ohne Bedeutung, aufgehoben in den charmanten, beabsichtigt expressiven, kleinformatigen Malereien oder Installationen von Waigel, die mitunter gar mit einer Gebrauchsanweisung ausgestattet sind wie die „Gottesfalle“ von 2010.

Insgesamt orientiert sich Waigels Kunstsicht an der hemmungslos offengelegten Psyche der Portraitierten, die uns mit verstörend wässrigen Augen anblicken und einsam werden lassen. Vergeblich suchen wir Hilfe in den eingearbeiteten oder begleitenden Textpassagen und müssen feststellen, dass sich das Erhabene im Endlager des Kleinen Mannes bereits breit gemacht zu haben scheint. Da hilft auch kein ultra-kunstdemokratischer Beuys, kein anarchisches Dada und selbst bei Marcel Duchamp wird man daneben pinkeln. Wohl eher hilft uns da der österreichische Menschenkenner Thomas Bernhard. Denn wie es in einer Pressemeldung frei nach Wolf Haas hieß: “Horst Waigel: Thomas Bernhard Hilfsausdruck!“ (Kunstraum am Schauplatz, Wien, 2015). Somit liefert Waigel einen durchaus wichtigen, kritischen Nachtrag zur massenmedial geprägten Pop Art oder zur vom Kunstmarketing immer wieder ins Genialische versetzen Avantgarde, weil endlich die Masse selbst zu Wort und Bild kommt. Und mit Waigels Anleitung zum Bau einer “Gottesfalle” wird das Erhabene in seiner Höchstform vielleicht sogar mit den Mitteln und Denkweisen des Kleinen Mannes endgültig besiegt.

Somit verleiht Waigel dem Kleinen Mann (resp. Frau) – ganz im Gegensatz zu Jeff Koons, Beuys oder Duchamp – eine magisch anmutende Präsenz durch die Verkontextualisierung seiner Perspektive auf die Welt mit der a priori behaupteten Symbolträchtigkeit wie Bedeutungsverschwangerung der bildenden Kunst.

Horst Waigel über Horst Waigel, Berlin im August 2021

 

Auszug aus Horst Waigels Bilderatlas „Pop Art für den Kleinen Mann“
Fremdinstallationen
Pop Art für den kleinen Mann, Fremdinstallation, C-Print, 15 × 40 cm. Artists: unknown. Foto: Horst Waigel